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Auf Augenhöhe – Sport Bild und die Leser im digitalen Zeitalter – Interview mit Tobias Holtkamp Teil II

Wir sind in einem goldenen Hochhaus am Rande von Kreuzberg. Der dicke Mann mit Zigarre blinzelt in die Runde, schnaubt unwirsch, zerknüllt den großen bunten Bogen und schleudert ihn wütend über die Tische, “Alles neu! Alles anders!” brüllt es aus ihm heraus. Hektisch rennen alle zu ihren Rechnern, hauen auf die Tastaturen und kippen schnell noch ein paar Klare für den klaren Blick. Den brauchen sie, um von Hochhaushöhen den Lesern da unten im Lande in GROßEN Lettern zu vorzuschreien, was sie zu denken haben.

Oder ist es alles ganz anders? Tobias Holtkamp erzählt von der Ruhe vorm Andruck und den offenen Mündern staunender Praktikanten. Im zweiten Teil unseres Interviews mit dem Stellvertretenden Chefredakteur der Sport Bild geht es um die Zeitungsarbeit, die Sprache, und was sich für einen Reporter als Chefredakteur ändert. Und darum, wie der spannende Weg ins Digitale aussieht, den Axel Springer geht, unter anderem mit der Sport Bild + als rein digitalem Wochenmagazin.

Über die Linie Die typischen Begriffe, die einem BILD-Redakteur entgegenschlagen sind Dreck, Müll, Mist, Lüge. Kommt das auch in Deinem Alltag vor? Wie reagieren die Leute, rücken die eher von Dir ab oder werden die eher interessierter?

Tobias Holtkamp Die werden eher interessierter. Zum einen lernst du diese Diskussion über die Jahre. Wenn man dann sagt, man ist im Sport, das ist schon mal der erste Schritt. “Ja, ok, den Sport lese ich auch immer”, sagen viele. Aber du sammelst über die Jahre viele gute Argumente, die die meisten auch überzeugen.

Schreiender Dickbauch mit Zigarre?

Und: Viele, die Einblick in diese Redaktion erhalten, sind anschließend echt beeindruckt. Das erleben wir immer wieder, zum Beispiel bei Praktikanten. Die sitzen am Anfang mit offenem Mund da und sagen, boah, das ist ja gar nicht so, wie man sich das vorstellt oder wie das im Fernsehen gezeigt wird. Dass da irgendwelche dickbäuchigen Herren mit Zigarre im Mund auf den Tisch hauen und sagen “Alles neu, alles anders!”

Die Ruhe vorm Andruck

Man muss mal erleben, was für eine Ruhe am Ende eines Champions League-Spiels, Minuten vor Andruck bei BILD herrscht und wie viele Spezialisten ihre Teile zusammenfügen zu einem Werk, das am Ende steht. Da ist manch einer doch überrascht.

Kurze Sätze, schwierige Sätze

Häufig hört man den Vorwurf “Oh, diese Sprache, diese Sätze, das kann doch jeder schreiben.” – Also ich habe es eher als Herausforderung empfunden, sehr komplexe Sachverhalte in einfachen Worten und auf sehr beschränktem Platz ausdrücken zu können. Was aber nicht heißt, dass ich andere Zeitungen oder Berichterstattung nicht auch schätze. Ich würde zum Beispiel auch in BILD viel häufiger längere Interviews lesen, weil ich die sehr gerne mag. Dass ich anschließend nicht nur die Meinung eines Menschen, sondern auch ihn selbst besser kennengelernt habe.

Über die Linie Dafür nehmt Ihr Euch ja in der Sport Bild Platz. Kommst Du als stellvertretender Chefredakteur noch zum Schreiben oder zum Recherchieren?

Tobias Holtkamp Der Beruf mit seinen Aufgaben verändert sich natürlich im Laufe der Karriere. Es muss nicht immer heißen, dass du, wenn du ein guter Reporter bist, im nächsten Schritt auch genauso gut eine Redaktion führen kannst. Aber meine Erfahrung ist, dass dir die Möglichkeit gegeben wird, herauszufinden, welcher Schritt der beste nächste für dich wäre. Und dass du Unterstützung erhältst.

Klar, es besteht die Möglichkeit, dass du dich in Deiner Laufbahn immer weiter vom klassischen Reporter-Job entfernst. Aber du musst dich ja nicht von der Reporter-Denke verabschieden. Das ist eine schöne Herausforderung. Am Ende liegt es doch an dir, was du möchtest, wo du dich siehst. Mir macht eben auch diese Aufgabe komplett Spaß. Natürlich schreibst du jetzt weniger und eher Kommentare als längere Reportagen. Aber ich sorge schon sehr dafür, dass ich noch regelmäßig größere Interviews mache, weil mir das viel Freude bereitet.

Über die Linie Wie siehst Du das Konzept der Sport Bild und die Ergänzung durch die Sport Bild plus?

Tobias Holtkamp Als Tageszeitung stehst Du sehr im Wettbewerb mit dem Internet. Du musst dich immer wieder fragen: Welche Rolle oder Bedeutung gibst du einer Nachricht, die schon am Vortag auf jedem Smartphone zu lesen war? Da hatte ich mir im Vorfeld gar nicht so viele Gedanken gemacht, aber diese Entwicklung spricht in meinen Augen sehr für Wochenmagazine, die diesen Wettbewerb zum Internet nicht so eingehen müssen. Die bewusst abwarten, anders recherchieren und die Gesamtsituation beobachten können. Die Wochenmagazine können machen, was den Print der nächsten Jahre ausmachen wird, nämlich eine wirklich gute Hintergrundberichterstattung.

Beispiel Blitzwechsel Poldi zum HSV

Die Nachricht, dass zum Beispiel der HSV Poldi sensationell an die Elbe holt, die wird mehr und mehr im Internet stattfinden, vor allem mobil. Aber das große Erklärstück, wie Arnesen den Coup geschafft hat, oder warum Poldi wirklich kommt – das sehe ich im Print. Eine Wochenzeitschrift kann auch mal ein paar Tage liegen. Wenn ich jetzt nur eine halbe Stunde Zeit habe, dann lese ich vielleicht eine Geschichte, aber morgen oder übermorgen, wenn ich noch mal eine Stunde habe, blättere ich wieder rein und finde noch etwas, was mich interessiert. Losgelöst vom Nachrichten-Geklapper.

Darin liegt eine große Chance. Aber das liegt auch an den Lesern, ob sie bereit sind, weiter Geld für gute, tiefe Recherchen auszugeben. Ich hoffe, das sind sehr viele.

Über die Linie Wie spürt Ihr das Internet bei der Sport Bild?

Tobias Holtkamp Kaum, weil wir kaum damit konkurrieren. Wir tragen seit circa eineinhalb Jahren diese Marke in soziale Netzwerke, was in meinen Augen ganz wichtig ist: Wir sind nicht nur einmal die Woche da, sondern wir sind letztendlich immer da, wir antworten auch, man kann uns ansprechen. Wir haben schon einige Male z.B. nach Poster-Vorschlägen gefragt. Wir haben Fragen für Interviews gesammelt oder “Frag’ den Chef” eingeführt, ein wöchentliches Video-Format, sehr vieles, was eben keine Einbahnstraße ist. Es gab schon viele Ideen, die wir aufgenommen und in Konferenzen diskutiert haben.

Auf Augenhöhe

Das ist ein Weg, der für mich in Zukunft ganz wichtig ist, dass du als Redaktion nicht denkst “Wir sind auf der einen, der Leser auf der anderen Seite”. Entscheidend ist ein tolles Zusammenspiel, auf Augenhöhe zu agieren. Es gibt so viele gute Fußballblogs, die, wenn ich mehr Zeit hätte, alle wöchentlich verschlingen würde. Es wäre blöd, wenn man das nicht macht und es nicht nutzt, sich da etwas abzuholen. Da ist viel mehr Chance als Risiko.

Über die Linie Es gibt ja bei der Abendzeitung das Experiment mit den Bayernbloggern, wo mehrere FC Bayern-Blogger angeteasert und verlinkt werden. Ist das was für Euch?

Tobias Holtkamp Finden wir auf jeden Fall gut, es gibt ja auch andere Modelle, zum Beispiel in Hamburg das Abendblatt mit dem wunderbaren Blog des langjährigen HSV-Reporters Dieter Matz. Da schreibt nicht irgendjemand von der Pressetribüne, sondern jemand, der neben viel Sachverstand auch ganz viel Herzblut hat. Da lechzen viele Fans nach. Es gibt viele angesehene Blogger in der Fußballszene, die auf Augenhöhe funktionieren. Die sind voll akzeptiert bei Lesern und Fans: sie haben besondere Möglichkeiten, aber sie sind trotzdem welche von uns. Das ist ein Pfund, auf das man setzen kann.

Der spannende Weg ins Digitale

Das ist ein bisschen auch das, was wir bei Sport Bild plus verfolgen. Wir wollten ein sehr neues Medium auf dem Tablet verheiraten mit 1A-Autoren wie zum Beispiel Raimund Hinko. Hinko hat unheimliche Erfahrung, der kennt beim FC Bayern jeden vom Parkplatzmann bis zum Vorstandsvorsitzenden, und vor allem kennt auch jeder ihn. Er hat eine extreme Glaubwürdigkeit und einen Bezug zu den Fans. Wenn du da was zusammenbringst und erfahrene, gute Schreiber ins Digitale hebst, ist das ein sehr spannender Weg.

Keine Zahlen

Über die Linie Technisch funktioniert die App ja inzwischen halbwegs, stürzt nicht mehr so häufig ab, man kann endlich problemlos vertikal scrollen – seid Ihr mit den Abozahlen zufrieden? Seid Ihr schon vierstellig?

Tobias Holtkamp Nur so viel: Unsere Erwartungen wurden übertroffen. Zur Rückrunde haben wir noch ein paar gute Neuerungen im Köcher. Technisch wie inhaltlich gibt es sicher noch einiges zu verbessern, das ist doch klar.

Einfach mal machen

Aber ich freue mich darüber, dass im Verlag die Bereitschaft da war, das jetzt einfach mal zu machen. Wenn wir mal das erste Jahr hinter uns haben, dann steigen wir auch mehr und mehr in die Hinterköpfe der potentiellen Leser und Käufer ein. Noch ist das sonntags oft ein “Ach ja, stimmt, das ist ja noch was”. Aber die Bereitschaft, über sein Tablet was zu kaufen, die wird sich verstärken, verstärken, verstärken. Deswegen halte ich den Schritt für Gold wert, den wir gemacht haben. Dazu passen die Zahlen, da steht regelmäßig auf den Auswertungen ein Plus, das sieht man ja im Printmarkt nicht mehr Woche für Woche.

Über die Linie War es schwierig, die Autoren zu überzeugen? Jemandem wie Hinko zu sagen: Du wirst „nur” auf dem iPad zu lesen sein?

Tobias Holtkamp Nicht im Ansatz. Ganz im Gegenteil: Das ist ein toller, neuer Schritt für die Redaktion, und genauso wird das auch gesehen. Wir haben große Lust auf das, was da kommt. Wer die Einstellung hat, ein paar tausend Leser reichen mir nicht, ich schreibe nur ab einer Auflage von xy, dem ist eh nicht zu helfen. Aber die Erfahrung habe ich bei uns noch nicht gemacht.

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Die Fragen stellte wie schon im ersten Teil Stefen Niemeyer.

Komplett-Interview Teil I und II zusammen als PDF.

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