Nach seinen Kommentierungen für N24 und SAT1 habe ich Sport- und Fußballjournalist Günter @guek62 Klein (Münchner Merkur) am Freitag in Berlin über das Urteil gegen Uli Hoeneß gesprochen, wenige Minuten bevor dessen Rückzug von den Ämtern beim FC Bayern und sein Verzicht auf eine Revision des Urteils bekannt wurden.
In wenigen Tagen erscheint eine Neufassung der Hoeneß-Biographie, die Abendzeitung-Journalist Patrick Strasser auf Basis des nun veralteten „Hier Hoeneß“-Buches mit Günter Klein verfasst hat.
Über die Linie Was bedeutet das Urteil (dreieinhalb Jahre Haft ohne Bewährung sowie noch genau zu berechnende Steuernachzahlungen) für Uli Hoeneß persönlich?
Günter Klein Für ihn persönlich eine Tragödie, weil er ein Mensch ist, der sehr viel verliert, mehr als andere Menschen verlieren würden – die absolute Freiheit, die er genossen hat. Perfektes persönliches Glück, Familie, Haus, er hat beruflich viel geleistet – und damit leider auch eine enorme persönliche Fallhöhe erreicht.
Über die Linie Wir haben jetzt zwei Seiten von Uli Hoeneß öffentlich kennengelernt. Im Nachhinein tauchen Informationen auf, dass vieles früher darauf hingedeutet hätte – hatte man nicht so genau hingeschaut, beiseite geschoben?
Günter Klein Er ist ein sehr launischer Mensch. Er begegnet einem mal mit Herzlichkeit, dann blickte er mit glasigen Augen durch einen durch, so dass man sich fragte, wo sind jetzt seine Gedanken? Das sind Situationen, die sich vielleicht im Nachhinein erklären. Da müsste man genau wissen, welche Situation das war und das in einen zeitlichen Kontext setzen: War das der Tag, wo er vielleicht gerade 18 Millionen verloren hat? Da erklärt sich vielleicht manches von der Unstetigkeit, die er ausgestrahlt hat.
Aber eigentlich hat von dieser dunklen Seite bis vor einem Jahr kaum jemand etwas von ahnen können. Das Zocken ist erst im Zuge der Steueraffäre publik geworden. Man dachte, er spielt Schafkopf mit seinen ehemaligen Spielern, die spielen um ein paar dutzend oder hundert Euro, aber alles im vernünftigen Rahmen.
Er ist zu mir immer sehr fair gewesen
Über die Linie Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, sagtest Du, dass Du nicht so sehr den Wohltäter Hoeneß als vielmehr seinen Intellekt schätzt. Hat sich daran etwas geändert?
Günter Klein Nein, daran ändert sich nichts. Ich habe an ihn keine moralischen Erwartungen, wie es ein Mitglied des FC Bayern hat. Meine Erwartung ist eine berufliche als Journalist, dass er zum Beispiel eine Information für mich hat, mit der ich etwas anfangen kann. Diese Erwartung hat er eigentlich immer erfüllt, und dabei ist er meist freundlich gewesen. Es ist immer sehr fair gewesen. Dadurch habe ich vielleicht etwas gut gehabt, dass ich nie so an den Pranger gestellt worden bin wie andere – zum Beispiel auf Champions League Rückflügen, wo manche Journalisten im Flugzeug Rechenschaft ablegen mussten für ihre Noten, die sie Spielern gegeben hatten. Da habe ich immer Glück gehabt und bin milde davongekommen.
Über die Linie Noten sind ein Thema für sich… Eine interessante Aussage in einer Diskussionsrunde am Abend der Urteilsverkündung war, dass es nicht darum gehen dürfe, den Menschen Hoeneß zu „brechen“. Siehst Du eine solche Gefahr durch die extreme Anprangerung auf verschiedenen Titelseiten wie „Verknackt ihn!“ oder „Der Runde muss ins Eckige“?
Günter Klein Das tut natürlich immens weh. Vor allem wird er sich sagen, er habe doch auch so viel Gutes getan, so viele wertvolle Anstöße geliefert. Zum Beispiel die Brunner-Stiftung – das bleibt trotz der Finanzbetrügereien. Es tut ihm auch weh, dass jetzt Leute sich äußern, die sonst eher seine Nähe gesucht haben und sich nicht unbedingt an ihm reiben wollten. Diese Ächtung, diese Stigmatisierung tut weh. Was wehtut ist sicher auch der Gedanke, eingesperrt zu sein. Das sind schon frappierende Eingriffe, die einen im Leben gefühlt um Jahrzehnte zurückwerfen.
Auf der anderen Seite kann ich mir vorstellen, dass er mit seiner Persönlichkeit im Gefängnis keine Probleme bekommt. Von Angesicht zu Angesicht wirkt er ja immer sehr gut und sehr überzeugend. Er hat mal gesagt: „Ich kann immer verstehen, wenn einer sagt, ich mag Bayern nicht“, aber wenn derjenige das nach einem einstündigen Gespräch mit ihm unter vier Augen noch sagen würde, dann wäre er sehr überrascht.
Uli Hoeneß ist sehr empathisch und interessiert sich sehr für seine Mitmenschen. Daher glaube ich, dass es für ihn einen Weg geben wird, sich in der Situation zurechtzufinden.
Über die Linie Kann man schon sagen, welche Bedeutung das Urteil für den Verein haben wird, wenn der Macher, der diesen Verein zu dieser Größe und diesem Blühen geführt hat, wenn dessen Symbol und Identifikationsfigur im Gefängnis sitzt?
Günter Klein Der Verein wird das ganz gut überstehen. Jetzt schlagen erstmal alle Wellen über ihm zusammen. Trotzdem glaube ich, dass öffentlich eine klare Trennung erfolgt, dass Hoeneß hier private Verfehlungen begangen hat. Es wird erkannt, dass er für den Verein sehr vernünftig agiert hat. Die AG wird da deutlich ausgeklammert.
Der Verein wirkt ja immer stärker ins internationale Geschäft rein, da ist Hoeneß gar nicht das große Thema, auch wenn es jetzt internationale Berichterstattung gibt. Der Name Hoeneß ist international nicht so bekannt, das wird eher folkloristisch so hingenommen. Ähnlich wie wir früher mal über Atlético Madrid lästerten, wenn wieder ein Prozess gegen Jil y Jil anstand wegen Immobiliengeschäften in Marbella. Ich glaube, die Marke FC Bayern ist so stark, auch die Mannschaft…
Was passiert mit der Mannschaft
Die Mannschaft wird sich vielleicht gegen Leverkusen mal was anmerken lassen, weil das Urteil so nah ist und so aktuell. Sie wird spüren, dass es ein anderes Spiel ist, alle gucken, ob Hoeneß ins Stadion kommt. Das wäre das erste Mal als verurteilter Straftäter. Aber die Spieler werden schnell wieder in ihren Alltag zurückfinden. Sie sind Profis, und ich weiß nicht, ob viele Spieler einen so engen Bezug zu Hoeneß haben, dass sie jetzt betroffen sind.
Ich glaube, wir haben jetzt eine andere Generation, nicht mehr wie Jens Jeremis und „Brazzo“ Salihamidžić, die fast eine Freundschaft zu Hoeneß hatten. Er ist ein Vorgesetzter, den man nicht so oft sieht, der nach dem Spiel mal in die Kabine geht, der von früher einen Namen hat, über den man sich vielleicht lustig macht, weil er so dick geworden ist. Über seine Wutanfälle amüsiert man sich vielleicht auch einmal. Aber dass die Spieler sich nachhaltig beeindrucken lassen, das glaube ich nicht.
Über die Linie Das war bereits in der letzten Saison nicht der Fall, als unmittelbar vor Spielen gezielt Informationen veröffentlicht wurden.
Günter Klein Siehe Barcelona, das Halbfinal-Hinspiel, da gewinnen die 4:0.
Über die Linie Wird die Revision für den Verein noch eine Rolle spielen? (Das Interview wurde kurz vor dem Revisionsverzicht geführt)
Günter Klein Der Verein ist nicht sehr erpicht darauf, noch ein Jahr lang eine Hängepartie zu haben. Ich schließe es nicht aus, dass Hoeneß zu dem Schluss kommt: „Ok, ich verzichte auf die Revision, ich will das Jahr auch nicht, das Gefängnis erscheint mir unabwendbar, ich muss das irgendwann antreten, ich bringe das hinter mich.“ Oder er wird weiterkämpfen und die Niederlage nicht als final betrachten, das würde auch zu ihm passen. Aber ich glaube, dass er einsehen wird, dass es momentan für den Verein besser ist, auf Distanz zu gehen.
Über die Linie Uli Hoeneß hat auf der letzten Jahreshauptversammlung gesagt, dass er dem Verein bis zu seinem letzten Atemzug dienen werde. Das heißt ja nicht: „Ich klebe an jedem Amt, bis ich nicht mehr lebe“, sondern verspricht ein Handeln zum Wohle des Vereines. Rechnest Du damit, dass er zurücktritt?
Günter Klein Die Südkurve hat vor ein paar Jahren mal im Streit betont, der Verein sei größer als Uli Hoeneß. Das stimmt natürlich, so sehr auch Uli Hoeneß für den Verein steht und er ihm das Gesicht gegeben hat. Es gab eine Geschichte vor Hoeneß, und es muss irgendwann eine Geschichte nach Hoeneß geben. Er ist jetzt im letzten Lebensviertel, wo er wahrscheinlich nicht bis 80 Präsident sein will, sondern einen Lebensplan hat, dass er mit 66 oder 70 nur noch Fan ist, der ins Stadion geht.
Was mit Hoeneß verlorengeht
Über die Linie Hoeneß hat den Generationswechsel bereits eingeleitet, was sich jetzt als Vorteil erweist, so dass er jetzt nicht mitten aus dem umtriebigsten Geschäftsleben herausgerissen wird, sondern dass schon ein Sammer da ist, dass mit Dreesen und anderen schon neue Leute eingeführt sind. Das trifft den Verein nicht unvorbereitet. Aber was wird diese Internationalisierung und Professionalisierung für das Verhältnis zwischen Verein und AG bedeuten? Dass die AG als solche noch wichtiger wird als das Vereinsleben?
Günter Klein Ein klassisches Vereinsleben gibt es ja nicht mehr. Es ist ja schon heute so, dass, wenn man vom FC Bayern spricht, dann spricht man vom Profifußball, und das ist die AG. Man spricht ja nicht von der Schachabteilung oder von den Turnern.
Was mit Hoeneß verlorengeht… Es ist ein emotionales Vakuum, das entsteht. Weil er verlässlich dafür steht, dass auch die AG einen familiären Charakter hat. Dass ab und zu ehemalige Spieler eine Karte für ein Spiel kriegen. Dass eine Gruppe von notleidenden Kindern mal ins Stadion kommt, die sonst keine Chance dazu hätten. Da war er immer ein Garant dafür. Oder dass ein Spieler zum Vorstand geht und sich mal ausweinen kann. Dieses Menschliche haben die anderen nicht so.
Über die Linie Bedeutet das Urteil ein Machtvakuum oder sind die Verhältnisse geklärt?
Günter Klein Ich glaube, dass Rummenigge als starker Mann schon klar ist. Ich glaube, dass Sammer nicht große Ambitionen hat, Macht auszuüben. Die Rolle, die er jetzt innehat, genügt ihm. Wer noch von den Fans akzeptiert wird, das ist der Hopfner, weil er lange im Verein ist. Man kann sagen, ihm fehlt die Ausstrahlung. Auf der anderen Seite sagt man, man braucht jetzt einen, der für Solidität steht, bei dem man keine bösen Überraschungen erlebt. Das weiß man zwar bei niemandem, aber bei Hopfner hat man den Eindruck, er wäre eine solide Lösung.
Hopfner wäre eine Abkehr von den letzten 25 Jahren mit Prominenz an der Spitze. Es werden eher wieder Zeiten wie unter Fritz Scherer, als man einen Präsidenten hatte, der selber kein glorreicher Fußballer war.
Was kommt?
Über die Linie Kann man schon in die Zukunft blicken? Der Stern hat mehr oder weniger angekündigt, dass er weiterrecherchieren will. Dräut da das nächste Gewitter oder ist der Verein erst mal raus aus dem Fokus?
Günter Klein Wenn sich herausstellen würde, dass Hoeneß nur ein Strohmann für den Verein war: So etwas hätte für den Verein sehr ernsthafte Konsequenzen. Das ernsthafteste, was der Verein je erlebt hat, war die Kirch-Geschichte mit den 40 Millionen Mark. Damals war die Lizenz nach den Statuten des DFB auf der Kippe, der Verein hätte aus der Bundesliga ausgeschlossen werden können.
Aber Schwarzgeldkonten von Vereinen bei den Umsatzzahlen, die man jetzt hat (über 400 Millionen Euro), ob das Sinn machen würde, das glaube ich eher nicht. Schwarze Kassen ist eher etwas, was man weiter unten im Amateurfußball vermutet, wo man nur Aufwandsentschädigungen hat – dass da hinten rum was bezahlt wird, das liegt es auf der Hand. Aber im hochbezahlten Profisport kann man alles auf dem offiziellen Weg machen.